11 Min Lesedauer

Was sind Embeddings? Die geheime Sprache, in der KIs 'denken'

Ohne Embeddings würden KIs heute nicht funktionieren. Sie werden benötigt, um Wörter, Kontexte oder überhaupt irgendwas zu verstehen. Wie das geht, erfährst Du in diesem Deep Dive.
Abstrakte Formen in einem schwarzen Raum
Damit KIs die Bedeutung von Wörtern verstehen, übersetzen sie Wörter in mathematische Vektoren und platzieren verwandte Wörter auf einer "Karte" nah beieinander | Quelle: Mariola Grobelska
💡
Das Wichtigste in Kürze:

Embeddings sind die geheime Sprache der KI. Sie übersetzen Wörter, Sätze oder sogar ganze Dokumente in eine Zahlenreihe (einen Vektor), die deren Bedeutung und Kontext repräsentiert.

Sie funktionieren wie eine riesige Landkarte der Bedeutung. Auf dieser Karte liegen Wörter mit ähnlicher Bedeutung (wie "Hund" und "Katze") als nahe Nachbarn, während unähnliche Wörter (wie "Katze" und "Auto") weit voneinander entfernt sind.

Beziehungen werden zu Rechenwegen. Die Struktur der Karte ist so logisch, dass man mit Konzepten "rechnen" kann (z.B. "König - Mann + Frau = Königin"). Diese Fähigkeit ist die Grundlage für das tiefe Sprachverständnis moderner KI.
🦾
Dieser Artikel ist ein Deep Dive. Um die Anwendungsbeispiele voll zu verstehen, ist es hilfreich, wenn Du bereits die Artikel zu "Wie Empfehlungsalgorithmen funktionieren" und "Wie KI-Modelle nach dem Training dazulernen (RAG)" kennst.

Wir haben darüber gesprochen, wie eine KI wie Google Gemini das Internet durchsuchen kann, um tagesaktuelle Antworten zu geben, oder wie Spotify Deinen Musikgeschmack so unheimlich gut "versteht". Aber haben wir uns je gefragt, wie das wirklich funktioniert? Wie kann ein Computer, der im Grunde nur ein blitzschneller Rechner für Nullen und Einsen ist, die subtile, unendlich nuancierte Bedeutung von Wörtern wie "Liebe", "Gerechtigkeit" oder einfach nur "Katze" erfassen?

Das ist die größte Herausforderung, vor der die KI-Forschung immer stand: eine Brücke zu bauen zwischen unserer reichen, chaotischen Welt der Sprache und der kalten, präzisen Welt der Mathematik. Wie verwandelt man ein Wort in eine Zahl, ohne dabei seine Seele – seine Bedeutung und seinen Kontext – komplett zu verlieren?

Die Lösung ist eine der elegantesten und fundamentalsten Ideen der modernen Künstlichen Intelligenz. Stell Dir eine riesige, unsichtbare, vieldimensionale Landkarte vor, auf der jedes Wort, das je geschrieben wurde, einen exakten Platz hat. Auf dieser Karte liegen "Hund" und "Katze" als nahe Nachbarn in der Region "Haustiere", aber sie sind meilenweit entfernt von der Metropole "Auto". 🗺️

In diesem Artikel entschlüsseln wir das Geheimnis dieser "Landkarte der Bedeutung" und zeigen Dir, was Embeddings sind – die geheime, mathematische Sprache, in der Künstliche Intelligenzen wirklich "denken" und die Welt verstehen.


Teil 1: Das Grundproblem – Warum Maschinen unsere Sprache nicht verstehen

Das Fundament, auf dem die gesamte Künstliche Intelligenz aufbaut, ist die Mathematik. Ein neuronales Netz, das Herzstück moderner KI, ist im Grunde eine gigantische, verschachtelte mathematische Funktion. Es addiert, multipliziert und transformiert Zahlen. Es kann aber nicht mit dem Wort "König" rechnen. Es braucht eine numerische Repräsentation.

Die erste und naheliegendste Idee, wie man Wörter in Zahlen umwandeln könnte, führt uns direkt in eine Sackgasse – aber sie zu verstehen ist entscheidend, um die Genialität von Embeddings zu begreifen.


Der simple, aber falsche Ansatz: "One-Hot Encoding"

Stell Dir vor, wir wollen einer KI die deutsche Sprache beibringen. Zuerst erstellen wir ein riesiges Wörterbuch (ein Vokabular) mit jedem einzelnen einzigartigen Wort, sagen wir 100.000 Wörter. Jedes Wort bekommt eine feste, einzigartige Nummer als Index.

  • "Apfel" ist Wort Nr. 7.823
  • "Birne" ist Wort Nr. 12.501
  • "König" ist Wort Nr. 54.010
  • "Königin" ist Wort Nr. 54.011

Jetzt müssen wir diese Index-Nummer in ein Format umwandeln, mit dem eine Maschine rechnen kann. Hier kommt eine Technik namens One-Hot Encoding ins Spiel.

Für jedes Wort erstellen wir eine absurd lange Liste (einen Vektor) mit 100.000 Einträgen – einen für jedes Wort in unserem Vokabular. Diese Liste besteht komplett aus Nullen, mit einer einzigen Ausnahme: An der Stelle, die dem Index unseres Wortes entspricht, steht eine Eins.

  • Der One-Hot-Vektor für "Apfel" wäre: [0, 0, ..., 1, ..., 0, 0] (eine 1 an der 7.823. Stelle)
  • Der One-Hot-Vektor für "Königin" wäre: [0, 0, ..., 1, ..., 0, 0] (eine 1 an der 54.011. Stelle)

Auf den ersten Blick wirkt das clever. Jedes Wort hat eine einzigartige, unmissverständliche numerische Repräsentation. Wir können damit rechnen. Doch dieser Ansatz hat zwei fatale, unüberwindbare Schwächen.

🦾
Vektor: Ein fundamentaler Baustein in der KI-Mathematik. Ein Vektor ist eine geordnete Liste von Zahlen. In diesem Fall ist es eine sehr lange Liste, die ein einzelnes Wort repräsentiert.

Die fatalen Schwächen des naiven Ansatzes

1. Der Fluch der Dimensionen (Curse of Dimensionality)
Unsere Vektoren haben 100.000 Dimensionen, also 100.000 Zahlen pro Wort. Das ist extrem ineffizient und speicherintensiv. Aber das eigentliche Problem ist mathematischer Natur: In einem so hochdimensionalen Raum sind alle Punkte (alle Wörter) quasi gleich weit voneinander entfernt. Es ist, als würde man versuchen, in einem riesigen, leeren Universum Beziehungen zwischen Sternen zu finden – alles ist einfach nur "weit weg". Das macht es für ein KI-Modell extrem schwer, sinnvolle Muster zu lernen.

2. Der totale Verlust der Bedeutung
Das ist der entscheidende Punkt. Die One-Hot-Vektoren sind orthogonal zueinander. Das ist ein mathematischer Ausdruck dafür, dass sie in keiner Beziehung zueinander stehen – sie sind komplett unabhängig.

Die KI hat keine Möglichkeit zu erkennen, dass der Vektor für "Königin" eine engere Beziehung zum Vektor für "König" hat als zum Vektor für "Apfel". Für die Maschine sind das einfach drei komplett unterschiedliche, voneinander isolierte Datenpunkte. Jede Semantik, jede Bedeutung, jede Nuance der Sprache geht bei dieser Übersetzung unwiederbringlich verloren.

Die Konsequenz: Eine KI, die mit One-Hot Encoding trainiert wird, müsste jede sprachliche Regel für jedes Wort einzeln und mühsam lernen. Sie könnte lernen "Der König trägt eine Krone", müsste aber völlig neu lernen "Die Königin trägt eine Krone". Sie könnte das Wissen nicht übertragen.

Wir brauchten also dringend eine Methode, die nicht nur eine Zahl pro Wort liefert, sondern die die reiche, komplexe Landkarte der Bedeutungen in die Welt der Mathematik übersetzt. Wir brauchten Embeddings.


Teil 2: Die Lösung – Embeddings als Landkarte der Bedeutung

Nachdem klar war, dass der naive Ansatz des "One-Hot Encoding" in eine Sackgasse führt, brauchte die KI-Forschung einen fundamental neuen Weg, um Sprache in Zahlen zu übersetzen. Die Lösung, die sich als ideal herausstellte, sind Word Embeddings (Worteinbettungen).

Die Kernidee ist, jedes Wort nicht als einen einzelnen Punkt auf einer langen Linie darzustellen, sondern als einen Punkt in einem komplexen, vieldimensionalen Raum. Statt eines Vektors mit 100.000 Nullen und einer Eins, erstellen wir für jedes Wort einen viel kürzeren, aber "dichten" Vektor – typischerweise mit 300, 512 oder sogar mehr Dimensionen. Jede dieser Dimensionen ist eine Zahl, die eine bestimmte, abstrakte Eigenschaft des Wortes repräsentiert.

🦾
Vieldimensionaler Raum: Während wir uns eine Landkarte in zwei Dimensionen (Breite/Länge) oder die Welt in drei Dimensionen vorstellen, arbeiten KI-Modelle in mathematischen Räumen mit hunderten oder tausenden von Dimensionen. Diese Dimensionen sind für uns nicht visualisierbar, aber sie erlauben es der KI, extrem komplexe Beziehungen zwischen Datenpunkten abzubilden.
🦾
Vektor (im Embedding-Kontext): Ein "dichter" Vektor ist eine Liste von Zahlen (z.B. 300 Stück), bei der die meisten Zahlen von Null verschieden sind. Jede Zahl in diesem Vektor ist eine "Koordinate" in einer Dimension und trägt zur Gesamtbedeutung des Wortes bei.

Man kann sich diesen Vektor wie die GPS-Koordinaten eines Wortes auf unserer riesigen Landkarte der Bedeutung vorstellen. Und auf dieser Karte passieren zwei magische Dinge.


Die Magie der Nähe: Semantische Ähnlichkeit

Das erste und wichtigste Prinzip dieser Bedeutungs-Landkarte ist, dass die Positionen der Wörter von den Algorithmen automatisch so gelernt werden, dass ihre räumliche Nähe ihre semantische Ähnlichkeit widerspiegelt.

  • Die Vektoren (die "Koordinaten") für die Wörter "Hund", "Katze", "Hamster" und "Haustier" werden in einer bestimmten Region der Karte sehr nahe beieinander liegen.
  • Die Vektoren für "Auto", "Fahrrad", "Bus" und "Zug" werden in einer völlig anderen, aber ebenfalls dichten Region liegen.
  • Die Vektoren für "Hund" und "Auto" hingegen werden auf der Karte sehr weit voneinander entfernt sein.

Plötzlich kann die KI etwas, was vorher unmöglich war: Sie kann die Distanz zwischen zwei Wort-Vektoren mathematisch berechnen (z.B. mit der Kosinus-Ähnlichkeit). Eine kleine Distanz bedeutet eine hohe semantische Ähnlichkeit. Damit hat die Maschine ein Werkzeug, um "zu verstehen", welche Wörter in einem ähnlichen Kontext verwendet werden. Sie kann ihr Wissen generalisieren: Wenn sie gelernt hat "Ich fahre mit dem Auto", kann sie daraus ableiten, dass "Ich fahre mit dem Zug" ebenfalls ein sinnvoller Satz ist, weil "Auto" und "Zug" auf der Karte Nachbarn sind.

🦾
Distanz (im Vektorraum): Ein mathematisches Maß dafür, wie weit zwei Punkte (zwei Wort-Vektoren) in einem vieldimensionalen Raum voneinander entfernt sind. Eine geringe Distanz bedeutet eine hohe Ähnlichkeit.
🦾
Kosinus-Ähnlichkeit (Cosine Similarity): Eine gängige Methode, um die Ähnlichkeit zwischen zwei Vektoren zu messen. Anstatt der reinen Entfernung misst sie den Winkel zwischen den Vektoren. Ein kleiner Winkel (nahe 0 Grad) bedeutet eine hohe Ähnlichkeit (die Vektoren zeigen in fast dieselbe Richtung), ein großer Winkel (nahe 90 Grad) bedeutet eine geringe Ähnlichkeit.

Die Magie der Richtung: Analoge Beziehungen

Jetzt kommt der wirklich verblüffende Teil, der zeigt, dass diese Landkarte nicht nur eine lose Ansammlung von Wörtern ist, sondern eine tiefgehende, logische Struktur besitzt. Nicht nur die Positionen, sondern auch die Richtungen und Abstände zwischen den Wörtern haben eine konsistente Bedeutung.

Das berühmteste Beispiel dafür ist die Wort-Analogie:

König - Mann + Frau ≈ Königin

Was bedeutet das mathematisch?

  1. Wir nehmen den Vektor für "König".
  2. Wir subtrahieren den Vektor für "Mann". Das Ergebnis ist ein neuer Vektor, der die abstrakte Idee von "Männlichkeit" und "Regentschaft" entfernt und das Konzept "Königtum/Herrschaft" übriglässt.
  3. Wir addieren den Vektor für "Frau". Wir fügen also das Konzept "Weiblichkeit" zu "Königtum" hinzu.
  4. Das Ergebnis ist ein Vektor, der auf unserer Landkarte fast exakt an der Position des Vektors für "Königin" landet.

Dieser "Vektor-Rechenweg" von "König" zu "Königin" ist fast identisch mit dem Weg von "Prinz" zu "Prinzessin" oder von "Onkel" zu "Tante". Die Vektoren repräsentieren also nicht nur die Wörter selbst, sondern auch die komplexen, analogen Beziehungen zwischen ihnen – wie Geschlecht, Pluralformen oder Hauptstädte (z.B. Berlin - Deutschland + Frankreich ≈ Paris).

Diese Fähigkeit, mit Konzepten zu "rechnen", ist das Fundament, auf dem das tiefe Sprachverständnis moderner Large Language Models (LLMs) aufbaut. Sie erlaubt es der KI, Grammatik, Logik und semantische Beziehungen nicht als starre Regeln, sondern als flexible, mathematische Strukturen in einem riesigen Bedeutungsraum zu lernen.


Teil 3: Wie entsteht diese Karte? Ein kurzer Blick in den Maschinenraum

Die faszinierende Struktur dieser Bedeutungs-Landkarte entsteht nicht durch menschliche Handarbeit. Kein Linguist setzt sich hin und definiert die 300 Koordinaten für das Wort "Katze". Die Karte entsteht, genau wie das Wissen in einem neuronalen Netz, durch einen automatischen Lernprozess. Die KI zeichnet die Karte quasi selbst, indem sie riesige Mengen an menschlichem Text liest und eine simple, aber geniale Grundannahme verfolgt.

Diese Annahme, bekannt als die distributionelle Hypothese, ist der philosophische Kern hinter den meisten Embedding-Algorithmen. Sie lautet:

"Ein Wort wird durch die Gesellschaft definiert, die es umgibt."

Oder einfacher gesagt: Wörter, die in ähnlichen Kontexten auftauchen, haben wahrscheinlich eine ähnliche Bedeutung. Das Wort "Katze" taucht oft in Sätzen mit "schnurren", "Maus", "Haustier" und "Fell" auf. Das Wort "Hund" erscheint oft neben "bellen", "Gassi", "Leine" und "Haustier". Sie teilen also einige "Nachbarn" (wie "Haustier"), was darauf hindeutet, dass sie auf der Karte nahe beieinander liegen sollten.


Der Lernprozess (am Beispiel von Word2Vec)

Einer der bahnbrechenden Algorithmen, der diese Idee populär gemacht hat, ist Word2Vec (wörtlich: "Wort zu Vektor"). Auch wenn heute noch komplexere Methoden existieren, ist das Grundprinzip oft dasselbe.

🦾
Word2Vec: Ein Sammelbegriff für eine Gruppe von Algorithmen (entwickelt bei Google um 2013), die zu den ersten gehörten, die auf effiziente Weise hochwertige Word Embeddings aus großen Textmengen lernen konnten. Sie haben das Feld des Natural Language Processing revolutioniert.

Stell Dir vor, die KI hat ein riesiges neuronales Netz. Ihre Aufgabe ist extrem einfach gehalten. Sie spielt ein Spiel:

  1. Das Spiel: "Vorhersage den Nachbarn" (Skip-gram)
    Man gibt der KI ein Wort aus einem Satz, zum Beispiel das Wort "jagt" aus dem Satz "Die schnelle Katze jagt die graue Maus". Die Aufgabe der KI ist es nun, vorherzusagen, welche Wörter mit hoher Wahrscheinlichkeit in der unmittelbaren Nachbarschaft dieses Wortes auftauchen (also z.B. "Katze", "Maus", "schnelle", "graue").
  2. Am Anfang: Zufällige Koordinaten
    Zu Beginn des Trainings hat jedes Wort auf unserer Landkarte eine komplett zufällige Position (einen zufälligen Vektor). Die Vorhersagen der KI sind daher am Anfang miserabel.
  3. Der Lernzyklus: Anpassen der Koordinaten
    Jedes Mal, wenn die KI eine Vorhersage macht, wird diese mit der Realität (dem tatsächlichen Satz) verglichen.
    • Wenn die KI das Wort "jagt" sieht und korrekterweise "Maus" als wahrscheinlichen Nachbarn vorhersagt, werden die "Koordinaten" (die Vektoren) von "jagt" und "Maus" auf der Karte ein winziges Bisschen näher aneinandergerückt.
    • Wenn sie fälschlicherweise "Auto" vorhersagt, werden die Koordinaten von "jagt" und "Auto" ein winziges Bisschen weiter auseinandergeschoben.
  4. Milliardenfache Wiederholung
    Dieser Prozess wird nun für Milliarden von Sätzen aus dem gesamten Trainingsdatensatz (z.B. Wikipedia) wiederholt. Mit jedem einzelnen Beispiel werden die Positionen aller Wörter auf der Karte minimal angepasst. Wörter, die oft zusammen vorkommen, ziehen sich an; Wörter, die nie zusammen vorkommen, stoßen sich ab.

Am Ende dieses gigantischen Optimierungsprozesses hat sich die chaotische, zufällige Punktewolke zu einer hochstrukturierten, geordneten Landkarte der Bedeutung selbst organisiert. Jedes Wort hat seinen Platz gefunden, nicht weil ein Mensch es ihm zugewiesen hat, sondern weil sein Kontext es dorthin gezwungen hat.


Teil 4: Was diese "geheime" Sprache alles antreibt

Diese elegant strukturierte "Landkarte der Bedeutung" ist weit mehr als nur eine akademische Spielerei. Sie ist das fundamentale Fundament, die unsichtbare Infrastruktur, auf der fast jede moderne KI-Anwendung aufbaut, die mit unstrukturierten Daten wie Text, Ton oder sogar Nutzerverhalten zu tun hat. Die Fähigkeit, Konzepte in Vektoren zu verwandeln und mit diesen zu "rechnen", ist der Schlüssel.

Sobald alles in die gemeinsame Sprache der Embeddings übersetzt ist, können die neuronalen Netze ihre eigentliche Arbeit aufnehmen: das Erkennen von Mustern in diesen Zahlen.


Anwendung 1: Empfehlungsalgorithmen (Spotify & Netflix) – Der persönliche Geschmacks-Vektor

Wie kann Spotify wissen, dass Du einen bestimmten neuen Song lieben wirst? Weil es nicht nur die Songs, sondern auch Dich als Nutzer in diese Bedeutungs-Landkarte einzeichnet.

  • Jeder Song, ein Vektor: Jeder Song wird analysiert und bekommt einen Vektor, der seine musikalischen Eigenschaften und die Stimmung repräsentiert.
  • Jeder Nutzer, ein Vektor: Dein persönlicher "Geschmacks-Vektor" wird berechnet, indem das System den Durchschnitt der Vektoren all der Songs bildet, die Du magst oder oft hörst.
  • Die Empfehlung: Um Dir einen neuen Song vorzuschlagen, muss die KI nun keine komplexe Analyse mehr durchführen. Sie muss nur eine simple mathematische Aufgabe lösen: "Finde die Song-Vektoren auf der Landkarte, die die geringste Distanz zu Deinem persönlichen Nutzer-Vektor haben."

Die KI empfiehlt Dir also die Songs, die Deine "Nachbarn" auf der Karte sind. Das gleiche Prinzip gilt für Filme auf Netflix oder Produkte auf Amazon und wird hier näher beschrieben.


Anwendung 2: Semantische Suche (RAG & Google) – Die Suche nach Bedeutung, nicht nach Wörtern

Warum sind moderne Suchmaschinen so gut darin, Deine Absicht zu verstehen, selbst wenn Du die falschen Wörter benutzt? Weil sie nicht mehr nach Schlüsselwörtern suchen, sondern nach Bedeutungen – dank Embeddings.

  • Jedes Dokument, ein Vektor: Genauso wie einzelne Wörter können auch ganze Dokumente, Webseiten oder Absätze in einen einzigen Vektor umgewandelt werden, der ihre Kernaussage repräsentiert.
  • Deine Frage, ein Vektor: Wenn Du eine Frage eingibst ("Wie hoch sind die Reisekosten nach Berlin?"), wird diese Frage ebenfalls in einen Vektor umgewandelt.
  • Die Suche: Die Suchmaschine vergleicht nun Deinen Frage-Vektor mit den Milliarden von Dokumenten-Vektoren in ihrer Datenbank. Sie sucht nicht nach Dokumenten, die die Worte "Reisekosten" und "Berlin" enthalten, sondern nach den Dokumenten, deren Bedeutungs-Vektor dem Vektor Deiner Frage am nächsten kommt.

Dies ist der Kern der semantischen Suche und die Grundlage für Retrieval-Augmented Generation (RAG). Es ermöglicht einer KI, das Dokument "Spesenrichtlinie für deutsche Hauptstädte" als hochrelevant zu erkennen, obwohl die genauen Wörter Deiner Frage darin nicht vorkommen. Mehr zu RAG findest du hier.


Anwendung 3: Jede Form von Textverständnis – Die universelle Grundlage

Die Liste der Anwendungen ist endlos. Immer wenn eine KI eine Aufgabe erledigt, die ein "Verständnis" von Sprache erfordert, ist der allererste, unsichtbare Schritt die Umwandlung der Wörter in Embeddings.

  • Spam-Erkennung: Ein KI-Modell lernt die typischen Vektor-Muster von Spam-E-Mails.
  • Stimmungsanalyse: Die KI lernt, dass Kundenrezensionen, deren Wort-Vektoren in der "positiven" Region der Landkarte liegen (nahe an "großartig", "super", "zufrieden"), wahrscheinlich eine gute Bewertung darstellen.
  • Maschinelle Übersetzung: Der Encoder eines Übersetzungssystems wandelt den gesamten Satz in eine Reihe von Vektoren (ein Embedding) um, das die "Bedeutung" des Satzes erfasst. Der Decoder wandelt dieses Embedding dann in die Wörter der Zielsprache zurück.

Embeddings sind somit die entscheidende Brücke, die es unseren rein mathematisch arbeitenden Maschinen erlaubt, in der reichen, unstrukturierten und zutiefst menschlichen Welt der Sprache zu navigieren.


Fazit: Die Lingua Franca der Künstlichen Intelligenz

Embeddings sind der entscheidende Übersetzungsschritt, der es Maschinen ermöglicht, die reiche, unstrukturierte und oft mehrdeutige Welt der menschlichen Sprache in die präzise, strukturierte Welt der Mathematik zu überführen. Sie lösen das fundamentale Problem, dass Computer nicht mit Wörtern, sondern nur mit Zahlen rechnen können, ohne dabei die Seele der Sprache – ihre Bedeutung und ihre unzähligen Beziehungen – zu verlieren.

Sie erlauben es uns erstmals, wirklich "Mathematik mit Bedeutung" zu betreiben. Die Fähigkeit, die Ähnlichkeit zwischen Konzepten einfach durch die Berechnung der Distanz zwischen Zahlenreihen zu bestimmen, ist der Geniestreich, der unzählige moderne KI-Anwendungen erst möglich macht.

Diese unsichtbare "Landkarte der Bedeutung" ist die wahre Lingua Franca der modernen Künstlichen Intelligenz. Sie ist die gemeinsame Grundlage, die es Maschinen ermöglicht, unsere Welt auf ihre eigene, numerische, aber erstaunlich effektive Weise zu "verstehen" und mit ihr zu interagieren.


Weiterführende Fragen

Gibt es Embeddings nur für Wörter?

Nein. Das Prinzip ist universell anwendbar. Man kann Embeddings für fast alles erstellen, wofür man Ähnlichkeitsbeziehungen finden möchte:

  • Nutzer-Embeddings für Empfehlungssysteme.
  • Produkt-Embeddings im E-Commerce.
  • Bild-Embeddings, bei denen Bilder mit ähnlichen visuellen Inhalten nahe beieinander liegen.
  • Molekül-Embeddings in der Medikamentenforschung.

Werden diese "Bedeutungs-Karten" ständig neu gezeichnet?

In der Regel nicht. Ein Embedding-Modell wird, genau wie ein großes Sprachmodell, einmal mit einem riesigen Datensatz trainiert. Das Ergebnis ist eine statische "Karte", in der jedes Wort aus dem Vokabular seinen festen Platz hat. Die Entwicklung neuerer und besserer Embedding-Modelle führt dann zu neuen, verfeinerten Karten, aber eine einmal erstellte Karte ändert sich nicht mehr.

Hat jede KI die gleiche "Bedeutungs-Karte"?

Nein. Jedes Embedding-Modell (wie Word2Vec, GloVe oder die Embedding-Layer in modernen Transformern) erzeugt seine eigene, einzigartige Karte. Die grundlegenden Beziehungen (wie dass "Hund" und "Katze" nahe beieinander liegen) werden in den meisten guten Modellen ähnlich sein, aber die genauen "Koordinaten" (die Vektor-Werte) sind für jedes Modell spezifisch.

Melde Dich für den Newsletter an. 📧

Jetzt kostenlos abonnieren und immer auf dem Neuesten bleiben. 🚀